Zum Geleit

August 2021

Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,

wie Ihr vermutlich mitbekommen habt, ist am 10. Juli Esther Bejarano gestorben, im Alter von 96 Jahren. Sie war eine jüdische Zeitzeugin und Überlebende des NS-Vernichtungsregimes, eine zeitweilige Auswanderin nach Israel, eine Musikerin und Autorin, eine ungebrochene Linke, eine Hamburgerin und vieles vieles mehr. Über ihren Tod und über ihren Einsatz gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Ungerechtigkeit über die Jahrzehnte berichteten jetzt auch die Leitmedien. Aus der großen Politik wurde vielfach Anteilnahme bekundet. Das ist für hiesige Institutionen nur angemessen, gerade, weil Esther Bejarano zu den letzten Überlebenden der Vernichtungslager zählte. Aber zu einer allzu staatstragenden Erinnerungskultur – wo nicht selten am einen Tag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird und am anderen Tag vor den Gefahren des Antifaschismus gewarnt – hat sie eher Distanz gehalten. In der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten war sie Ehrenpräsidentin.

Zweimal ist sie in der Manufaktur aufgetreten, im Januar 2012 und im September 2014, beide Male zusammen mit ihren Kindern Edna und Joram (als Familie Bejarano) und den Kölner Rappern Microphone Mafia, mit Programmen mit jiddischen Liedern und kritischen Chansons aus dem 20. Jahrhundert und Rap – beide Male war sie, das nur am Rande, die Künstlerin mit den meisten Lebensjahren, die zu diesem Zeitpunkt auf der Manufaktur-Bühne gestanden hatte. Von dem, was sie alles erlebt hat und durchmachen musste, gar nicht erst zu reden. In der Ankündigung las sich das 2012 so (ein bisschen hat sich die Sprache seitdem auch geändert): „Orient trifft Okzident, die Jüdin den Moslem, die Atheistin den Christen, Süd trifft Nord, alt trifft jung, Frau trifft Mann, Tradition trifft Moderne, Folklore trifft Rap, Hamburg trifft Köln, ausdrucksstarke Stimmen treffen auf geniale Musiker, Spannung trifft auf Harmonie, Herz trifft Verstand, Familie Bejarano trifft Microphone Mafia – und alle arbeiten gleichberechtigt nebeneinander. … Dieser musikalische Urknall ist ein ungewöhnliches künstlerisches Projekt, in dem musikalische Widersprüche harmonisch in Einklang gebracht werden. Die Musik ist eine gewagte Synthese aus Tradition und Moderne, in der sich in den Texten die Erfahrungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart widerspiegeln. Auch wenn manche Stücke betroffen machen, so strahlen die meisten Optimismus aus, sind so vielschichtig wie das Leben selbst, und trotz aller Höhen und Tiefen ein uneingeschränktes ‘Ja!’ zum Leben.“

Wir erinnern uns an zwei bewegende und schöne Abende. Ruhig und doch charismatisch hatte Bejarano das Publikum im Griff– und ärgerte sich bei der ersten Show ein bisschen, dass das Schorndorfer Publikum nicht so auf „Der Deserteur“ ansprang, wie sie das von anderen Orten gewohnt war. An was man sich als Veranstalter so erinnert… Beim zweiten Auftritt, 2014, las sie auch aus ihrer Autobiografie. Sie erzählte darin nicht zuletzt vom Horror der deutschen Vernichtungsmaschinerie aus der Perspektive seiner Opfer – und verkörperte auch den Triumph darüber, dass die Nazis ihr Ziel letztlich nicht erreicht haben, so unermesslich das Leid auch ist, dass sie verursachten. Leicht war es auch für sie sicher nie, immer wieder zu diesen Erlebnissen, nicht zuletzt der Trennung von ihren ermordeten Eltern, zurückzukehren. Auf eine Frage beziehungsweise Aufforderung aus dem Publikum, sie möge doch bitte mehr davon erzählen, wie es in Auschwitz war, antwortete sie nur, die Fragestellerin möge das doch in ihrem Buch nachlesen.

Wir trauern um Esther Bejarano.

Eure

Manufaktur

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