Zum Geleit

Juni 2023

Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,

wir geben auf, wir machen dicht, wir sperren zu. Statt uns immer wieder neu um ein originelles und substanzielles Programm in Sachen Kultur und Politik zu bemühen, lassen wir künftig die Künstliche Intelligenz ran. Ein neues Startup namens „CurateGPX“ kann nämlich perfekt die errechneten Bedürfnisse des Publikums, den politischen Anspruch, der sich aus der Geschichte der jeweiligen Kulturinstitution ergibt, die optimale Raumtemperatur und einen fairen Preis errechnen und verhandelt dann knallhart mit Agent:innen, Verleiher:innen und präsentiert euch ein ausgewogenes, anspruchs- und gehaltvolles Programm! Fällig wird nur eine kleine prozentuale Abgabe, die an eine Luxemburger Firma zu überweisen ist, sowie die Verfügungsmacht über alle Hirnströme, Erinnerungen und Geschmacksempfindungen, während ihr vor Ort seid. Deal? Ihr könnt euren Besuch ansonsten auch an Automatisierungsavatare delegieren.

„In echt“? Nein, nicht „in echt“. Wir dachten nur, dass wir, um nicht aus der Zeit zu fallen, auch mal was „über KI“ ins Vorwort schreiben müssen. Ist ja alles „sehr spannend“, was da so passiert. Aber irgendwie auch ein bisschen bedrohlich. Man bekommt Angst um den eigenen Job, um die Kunst, die einem wichtig ist (bzw. der Finanzierung von deren Zustandekommen und Aufführung), um politische Möglichkeiten. Denn der Kapitalismus und seine Fans halten uns ja ständig vor, dass wir alle jederzeit überflüssig werden können, dass unsere bloße Existenz noch lange nichts ist, was uns zum Existieren berechtigt, sondern dass wir dafür nun mal einen ordentlichen Beitrag zum Bruttosozialprodukt (bzw. zur Mehrwertproduktion für die herrschenden Klassen) zu leisten haben. Sonst kann man halt für nichts garantieren, und die technischen Möglichkeiten sind ja immens…

Besteht das Grundproblem unserer Welt nicht darin, dass wir neue technische Möglichkeiten fast schon als Bedrohung empfinden müssen, weil sie nun mal, realistisch betrachtet, so organisiert werden, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach den Elon Musks, den Ola Källeniuses und den Investoren und Besitzern dieser Welt zugutekommen? (Wir kriegen dann immerhin schicke Smartphones, wenn wir sie uns leisten können – als Konsument:innen sind wir ja wichtiger denn als Arbeitende oder als Leute, die politisch etwas wollen). Sind die Jobs, die durch diese statistikbasierten Wort-, Pixel- oder Tonkombinationsmaschinen ersetzt werden können, eigentlich „Bullshit-Jobs“, wie der anarchistische Ethnologe David Graeber sie nannte? (Nein, glauben wir eigentlich nicht). Aber wäre weniger Bullshit nicht eigentlich eine gute Sache?

So sinnieren wir daher – und müssen bei dieser Gelegenheit auch an die Veranstaltung mit Andreas Speit denken, der am 15. Juni über sein Buch „Verqueres Denken“ und rechtes Denken in alternativen Milieus sprechen wird. Was das mit dem KI-Automatisierungs-Gedöns zu tun hat? So direkt eigentlich nichts. Aber wir werden den Verdacht nicht los, dass die irrationale, bedrohliche Einrichtung dieser unserer (sozialen) Welt und die Zurichtung der Natur ein diffuses Unbehagen erzeugen, das auf allerlei Umwegen zu rechtsesoterischen, neo-autoritären Quatschpolitiken führt. Deshalb: Nicht einfach nur gegen die Quatschpolitiken angehen (was unbedingt nötig ist), sondern auch gegen die vermeintliche Normalität, die solche Bedürfnisse erzeugt! Eine andere Welt ist weiterhin möglich!

Meint

Eure Manufaktur

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