Zum Geleit

Mai 2025

Liebe Freud*innen der Manufaktur,

„To flood the system with shit!“ Die gegenwärtig wirkmächtigste Medientheorie wird dem Alt-Right-Aktivisten und Breitbart News Network-Publizisten Steve Bannon zugeschrieben, dessen Biografie übrigens reichlich Stoff für eine vielteilige TV-Serie bieten könnte. Ludwigsburg, übernehmen Sie! Zeitweilig wichtigster Berater des US-Präsidenten „The Donald“ in dessen erster Amtszeit, später dann in Ungnade gefallen – und mittlerweile wieder zurück, zumindest in der Zone, wenngleich (noch) nicht im Weißen Haus. Dennoch scheinen die ersten paar Wochen der aktuellen US-Politik absolut der Spektakel-Strategie Bannons verpflichtet. Mit anarchischer Verve verfährt „The Donald“ erratisch bis zur Selbstparodie, haut einfach mal raus, was ihm gerade so durch Kopf und Bauch wummert und kann morgen nicht mehr erinnern, was er gestern warum und wie gesagt hat. Wobei seine Sprache mittlerweile gerne an einen Verschiebebahnhof von Floskeln und Bausteinen erinnert, die ohne Rücksicht auf sinnstiftende Semantik choreografiert werden. Wie bereits gesagt: Wenn man nicht gerade Demokrat ist, im Aktiengeschäft tätig ist, in der Ukraine, im Südsudan, in Myanmar, in der Türkei oder in Gaza terrorisiert wird, Immobilien auf Grönland oder am Panamakanal besitzt, dann kann Demenz im Amt auch durchaus als lustiges Entertainment wahrgenommen werden. Oder als eine freche Inszenierung von Demenz im Amt? Lustig auch, wenn „The Donald“ in Pressekonferenzen Journalisten das Wort entzieht oder, besser noch, wenn statt seiner Caroline Claire Leavitt zuverlässig adrett her masters voice gibt. Und naseweis erklärt, ohne die Amis würden die Franzosen heute wohl Deutsch sprechen. Wer muss dann nicht spontan an das traurige Schicksal von Elena Ceaușescu denken? Unterhaltsam auch eine neue Textsorte, in der jetzt deutsche PublizistInnen Abschied von ihrem ganz persönlichen us-amerikanischen Traum nehmen und von vergangenen Urlaubreisen quer durchs Land, das sich „home of the brave, land of the free“ schimpfte, schwärmen. Ach herrje, die Popkultur! Der Jazz! Hollywood! Die erste Jeans! New York, die Stadt, wo niemals schläft!  War es nicht Wim Wenders, der einst einen seiner Protagonisten räsonieren ließ, die Amis hätten unser Unterbewusstsein kolonisiert? Müssen wir jetzt tatsächlich daran erinnern, dass die verdienstvolle Band Heaven 17 in die Auslaufrille ihrer Maxi von „(We don’t need that) Facist Groove Thang“ „Better Luck Next Time, John Hinckley jr.“ ritzen ließ? Wie kommen wir jetzt von „to flood the zone with shit“ auf Wim Wenders? Vielleicht, weil die Veranstalter der Stuttgarter Tagung „Dokville 2025. Rechtsruck Deutschland“ sich nicht nur fragen: „Was macht die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen so attraktiv? Was treibt Wähler:innen antidemokratischer Parteien an, macht sie zu willfährigen, bedingungslosen, ja gläubigen Unterstützer:innen? Welche Auswirkungen hat diese Situation auf die Pressefreiheit und den zeitkritischen Dokumentarfilm?“, sondern zudem auf die überaus naheliegende Idee gekommen, als Keynote-Speaker ausgerechnet Campino, den Frontmann der Toten Hosen und selbsternannten Klassensprecher der Generation „No Future“ zu verpflichten. Oder denken wir an jene Journalisten-Koryphäe der STZ/STN, der seit langem mit moralischen Geschichten und pittoresken Sittengemälden über das Leben und Treiben voll lebensbejahender Stuttgarter C- und D-Promis das Bannon-Prinzip am lebenden Objekt exekutiert? Dazu passt eine Meldung, die wir jüngst im Radio hörten. Demnach reagieren junge Bands aus dem UK oder den US of A bei Konzerten hierzulande leicht irritiert, weil das Club-Publikum, das sich zu rocken imstande ist, deutlich älter ist als das in ihrer Heimat. Großväterchen Rock! Stimmt das überhaupt? Und falls ja – woran könnte es liegen? An zu geringem Taschengeld? An Corona? An mangelnder Neugier der Generation Z? Aber komisch ist das schon und gewiss kein Zufall: Wenn besagter Journalist über Musical-Premieren, Gastro-Eröffnungen oder Buch-Präsentationen in Stuttgart berichtet, sind auch die immergleichen Promis – Schönheitschirurgen, SWR-Moderatoren, Ex-VfB-Profis, DJanes, First Ladies und Söhne – vor Ort, um die Landeshauptstadt als „place to be“ zu behaupten. Und alle (bis auf die Söhne!) sind deutlich Ü-40. Und Jüngere sind nicht im Bild. Vielleicht doch eine Frage des guten Geschmacks? Wenn man »the länd« schon nicht verlassen kann, will man/frau/divers jedenfalls nicht mit ihm gesehen werden. Apropos Heimat. Kürzlich erklärte uns ein Kölner Jeck auf der Insta-Seite des Wissenschaftsministeriums Ba-Wü den Wert der Dialektinitiative der Landesregierung zur Bewahrung der vielfältigen historischen Dialekte in Baden-Württemberg. Dialekte, so der Neigschmeckte, stiften Identität und Zusammenhalt. Sie seien wie „Nach-Hause-Kommen“, ein „Wohlgefühl“, „Abgeholt-und-Verstanden-Werden“, kurzum: „Heimat“. So sei es denn! Bis demnächst auf dem traditionellen Schließmuskel-Essen in Riedlingen!

Eure

Manufaktur

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