Zum Geleit

April 2022

Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,

ein schönes Aprilprogramm steht uns bevor, nicht zuletzt mit der so groß- wie einzigartigen Cate Le Bon.

Dass sich die Kultur- und Politikveranstaltungsnormalität in Kriegszeiten auch ein bisschen seltsam anfühlt, müssen wir sicherlich niemandem erklären. Ebenso wenig, dass diejenigen unter uns Linken, die an einer weltanschaulichen Vorstellung von „Antiimperialismus“ aus den 1920er-Jahren (ok, vielleicht auch aus den 1980ern) festgehalten hatten, jetzt ein bisschen kognitive Dissonanz erleben. Oh, da ist gar nicht nur die NATO schuld!? Faktisch hatten Putin und sein Regime ja sowohl die Krim als auch die ostukrainischen Pseudo-Volksrepubliken bereits fest in der Hand. Schwer, nun auch noch diesen Angriffskrieg allein als Reaktion auf den westlichen Imperialismus – der in der Ukraine und rundherum zuletzt immer beliebter geworden ist – einzuordnen und die Augen davor zu verschließen, dass (auch) andere Leute gerne Imperien errichten, auf Kosten wieder anderer Leute. Es wirkt gelegentlich, als seien die anhaltende Putin-Verharmlosung und die Attraktion des russischen Nationalismus nur Ausdruck einer seltsamen Faszination für Autoritarismus und „hartem“ geopolitischen Realismus.

Aber auch solche Überlegungen unsererseits sind natürlich Ausdruck von Hilflosigkeit – so, wie wir derzeit jede Menge von durchaus nachvollziehbarer Pseudoaktivität erleben. Man will halt was tun oder zumindest irgendwo rechthaben! In vieler Hinsicht wünschen wir uns derzeit aber eher, mit den Zukunftsprognosen unrecht zu haben. Denn wenn wir recht behalten sollten, dann ist das alles Teil einer allgemeineren Entwicklung hin zum Schlechteren. Das gilt offensichtlich in allererster Linie für die zunehmend zerstörte Ukraine und die bedrohten Anrainerstaaten. Es gilt mit Blick auf die Faschisierung der russischen Gesellschaft. Und es gilt auch für hierzulande: Wachsende Militärbudgets, das Abfeiern von militärisch-maskulinem Heroismus und nationalreligiöser Ideologie sowie die Kooperation mit Nazi-Milizen sind, nüchtern betrachtet, nicht wirklich als Fortschritte anzusehen. Wobei auch wir einige dieser Punkte aktuell für verhältnismäßig untergeordnete Probleme halten – es ist schwer zu bestreiten, dass es neben geschmuggelten Waffen derzeit vor allem der Widerstandsgeist vieler Ukrainer*innen ist, der den Eroberern Schwierigkeiten bereitet.

Insgesamt schwinden im Zuge solcher Kriege und Lagerbildungen die Alternativen. Wichtigste politische Aufgaben – Klimapolitik, war da was? – werden zur Nebensache. Dass ein Effekt von Putins Angriffskrieg darin besteht, dass Linke in vielen Teilen der Welt ihre eigenen emanzipatorischen Ziele zurückstellen und sich auf diese Konfrontationslogik einlassen (müssen), mag unter diesen Effekten kein sonderlich wichtiger sein – das zu behaupten wäre zynisch – aber es ist dann doch einer, der uns angeht. Antiautoritäre Linke in der Ukraine reflektieren das schon seit Jahren (und sind in der seltsamen Lage, auf die NATO hoffen zu müssen).

Wir „boykottieren“ auch diesmal übrigens niemanden, Stand heute, was uns leicht fällt – denn pro-putinistische Bands waren auf der Manufaktur-Bühne eh schon immer unwahrscheinlich. Wenigstens da ist die Welt noch übersichtlich, übersichtlicher jedenfalls als in der Welt der Stardirigenten und Operndiven: Soweit wir wissen, machen Putin-Fans wirklich grauenvolle Rock- und Popmusik.

Eure

Manufaktur

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